Amerikanische Verhältnisse in der Weiterbildung (Erwachsenenbildung)

Die soziale Lage der selbständigen Dozenten



 1.  Qualitative Veränderung des Angebots der vhs und dadurch gestiegene Anforderungen an die Dozenten

Die Anforderungen der Teilnehmer an das Angebot sind gestiegen, weil viele Kurse einfach für die berufliche Weiterbildung notwendig sind (Stichwort: Lebenslanges Lernen) oder weil einfach andere Erwartungen der Teilnehmer sich herausgebildet haben (z.B. Wellnes). Die typischen vhs-Kurse sind nicht mehr Häkelkurse, sondern qualifizierte Weiterbildung. Die fachlichen, pädagogischen und sozialen Kompetenzen der Dozenten hat also kontinuierlich zugenommen. Daher kann die Kontinuität, Vielfalt und Qualität des Angebots als auch der dazu notwendige zeitliche Rahmen (tagsüber, abends und Wochen-Ende) hauptsächlich nur von Dozenten gewährleistet werden, die sich auf die Weiterbildung spezialisiert haben, da hier ganz andere pädagogische Anforderungen als in der Schule oder Universität anfallen.

Die bildungs-, gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung der Weiterbildung wird von allen anerkannt, es besteht Konsens darüber, dass die Weiterbildung die 4. Säule des Bildungssystem ist. Die Weiterbildung ist von allen, Politik und Wirtschaft, dringend gewollt, sie bleibt aber ein Stiefkind im Bildungssystem. Diejenigen, die darunter am meisten leiden, sind die Dozenten (vgl. Entlohnung).

 

2. Tendenz zur (Schein)Selbstständigkeit

Der Rückgang der Normalarbeitsverhältnisse hin zu diskontinuierlicher Arbeit und (Schein)Selbständigkeit hat bei dazu geführt, dass mittlerweile für die Mehrheit der Dozenten der vhs (DAF alle, Kunst und Gestalten 2/3, etc.) die Honorare keine Zusatzeinnahmen, sondern ihre Lebensgrundlage bilden.

3. Entlohnung unter dem Existenzminimum 

Die Honorare für Dozenten an der vhs Heidelberg betragen derzeit ca. 18 bis 24,50 € je Unterrichtseinheit (UE). Die vhs Heidelberg zahlt nach der vhs Stuttgart die besten Honorare in Baden-Württemberg. Die Honorare bei anderen Institutionen der Weiterbildung sind sogar noch geringer!!

Vergleich des Einkommens: Dozenten vhs - Lehrern an Grund- und Hauptschulen: 

Ein Lehrer hat eine Jahresarbeitszeit von 1064 UE (28 UE in 38 Wochen), hinzu kommt die Vorbereitungszeit. Ein Dozent in der EDV (Honorar 24 €) könnte also jährlich, wenn er 1064 UE arbeitet, einen Jahresumsatz von 25.536 € erzielen, mit 18 € sind es gerade einmal 19.152 €. Jedoch können Dozenten allein schon aus organisatorischen Gründen keine 1064 UE im Jahr leisten, unabhängig davon bei wie vielen Institutionen sie arbeiten.

Allein der Umsatz eines Dozenten ist geringer als das, was bei einem Grund- und Hauptschullehrer Netto in der Kasse bleibt (Ein Lehrer kann je nach Alter und Familienstand in der Besoldungsgruppe A 12 oder BAT III Netto weit über 30.000 € erhalten, von der Besoldungsgruppe A 13 bzw. BAT II der Real- und Gymnasiallehrer ganz abgesehen). Unberücksichtigt bleibt, dass ein erfahrener Lehrer auch mehr verdient. Das langjährige Engagement in der vhs aber bleibt völlig unberücksichtigt.

Das Honorar des Dozenten ist äquivalent mit seinem Umsatz. Davon muss er die Sachausgaben (Telefon, eigenes Büro, Atelier, Arbeitsmaterialien, Fachliteratur) sowie die soziale Sicherung bezahlen. 41,3 % des Bruttolohns geht in die Sozialversicherungssysteme als. Die Dozenten müssen Arbeitnehmerbeitrag  und Arbeitgeberbeitrag selber aufbringen.

Netto-Stundenlohn

 
18 € 24 € Honorar je Unterrichtseinheit (UE)
7,434 9,912 41,3 % Anteil an Sozialausgaben, Kranken- 14 %, Renten- 19,1, Arbeitslosen- 6,5, Pflegeversicherung  1,7.
10,566 14,088 Zu versteuerndes Einkommen
1,479366 1,972488 Steuern, 19,9 % Eingangssteuersatz.
0,11834928 0,15779904 Kirchensteuer 8 %.
0,08136513 0,10848684 Solidaritätsbeitrag 5,5 %.
1,67908041 2,23877388 Summe Steuern
2,81954887 3,7593985 Sachausgaben, 3000/4000 € geteilt durch 1064 Stunden (vgl. Gewinn- und Verlustrechnung). Da man keine 1064 Stunden halten kann, muss sogar noch mehr für die Sachausgaben veranschlagt werden.
6,06737072 € 8,08982762 € Netto-Stundenlohn.

Unberücksichtigt bleiben: Fahrtkosten, Rücklagen für unbezahlte Urlaubs-, Feier- und Krankheitstage.

Hinweis: Beträge wurden in Excel berechnet und nicht aufgerundet.

 

Gewinn- und Verlustrechnung  

Mögliches Jahreseinkommen

18 € 24 € Honorar je Unterrichtseinheit (UE)
19152 € 25.536 € 1064 UE jährlich. Jedoch können Dozenten allein schon aus organisatorischen Gründen keine 1064 UE im Jahr leisten, unabhängig davon bei wie vielen Institutionen sie arbeiten.
1000 € 1000 € Sachsausgaben. Diesen Betrag kann ein Lehrer von der Steuer absetzen. 
2000 € 3000 € Ein Lehrer erhält viele Arbeitsmaterialien und Weiterbildungen von der Schule, die ein Dozent aus eigener Tasche aufbringen muss. Weiterhin muss ein Dozent ein Atelier oder Büro (PC, Telefon, Fax etc.) einrichten und unterhalten.
7909 € 10.546 € 41,3 % Anteil an Sozialausgaben, Kranken- 14 %, Renten- 19,1, Arbeitslosen- 6,5, Pflegeversicherung  1,7.
8.243 € 10.990 € Zu versteuerndes Einkommen
1.640 € 2.186 € Steuern, 19,9 % Eingangssteuersatz.
132 € 175 € Kirchensteuer 8 %.
90 € 120 € Solidaritätsbeitrag 5,5 %.
1.862 € 2481 € Summe Steuern
6.381 € 8.509 € Netto, Existenzminimum (Grundfreibetrag) 7.426/14.853 € (alleinstehend und verheiratet 2003, vgl. Existenzminima).

Unberücksichtigt bleiben: Fahrtkosten, Rücklagen für unbezahlte Urlaubs-, Feier- und Krankheitstage.

 

Darstellung der in 2003 steuerfrei zu stellenden sächlichen
Existenzminima und der entsprechenden steuerlichen
Freibeträge (in € )

 
  Alleinstehende Ehepaare Kinder
Regelsatz 3564 6420 2316
einmalige Leistungen 540 1008 468
Unterkunft 2304 3516 708
Heizkosten 540 696 144
sächliches Existenzminimum 6948 11640 3636
steuerlicher Freibetrag 7426 14853 3648
Quelle: Bundesministerium der Finanzen, Monatsbericht 01.2002: Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für 2003 (Vierter Existenzminimumbericht), S. 57.

 

Mit 6.381 - 8.509 € Netto kann ein Dozent trotz vollem Arbeitseinsatz über ein ganzes Jahr nicht einmal das Existenzminimum erwirtschaften

Damit man unter diesen Bedingungen überleben kann, verzichten Dozenten notgedrungen auf eine adäquate soziale Sicherung. Kranken- und Pflegeversicherung müssen bezahlt werden. Also wird bei der Altersrente und Arbeitslosenversicherung gespart. Auch nach jahrelanger Arbeit werden sie in der Sozialhilfe landen. Trotzdem trägt der Dozent das unternehmerische Risiko, wenn ein Kurs wegfällt, dann hat er Pech gehabt, er muss sich aber den Termin fast bis zum Schluss blockieren.

Allein die Mitarbeiter in der Verwaltung werden leistungsgerecht und sozialverträglich bezahlt. Sie haben darüber hinaus einen sicheren Arbeitsplatz (dagegen ist nichts einzuwenden). Während die Mitarbeiter in der Verwaltung, die Lehrerkollegen am Abendgymnasium, -realschule und Hauptschule nach BAT bezahlt werden und die Kollegen von der HAG (Heidelberger Akademie für Gesundheitsbildung) auch leistungsgerecht bezahlt werden, werden die über 600 Dozenten der vhs ("631 selbständige Lehrkräfte" Geschäftsbericht 2000, S. 16) nicht adäquat entlohnt, weil dies der einzige Bereich ist, wo man sparen kann. Dies schlägt sich auch in der Bilanz wie folgt nieder: Der Aufwand für Dozenten ist sogar geringer wie die Personalausgaben für die Verwaltung (2300 TDM - 2152+148 - für die Verwaltung und 1980 TDM - 1791+189 - für Dozentenhonorare, Geschäftsbericht vhs Heidelberg von 2001, Seite 18). 

BAT III Einkommenshöhe

Grundvergütung  2566
Zuschlag Alter 35 Jahre 756
Zulage, verheiratet 2 Kinder 110
Zwischensumme 3432
30 % Sozialversicherungen 1029
monatlich 4461 €
jährlich * 13 57.993 €
Honorarsatz je Stunde bei
1024 Unterrichtsstunden jährlich 
54,51 €

Die Dozenten werden also, je nach Fachbereich, mindestens um den Faktor 2 - 3 geringer bezahlt.

Klarer Fall von inverser Solidarität: die Schwachen tragen die Starken. Die Dozenten, die die eigentliche Leistung der vhs erbringen, können von Ihrem Honorar nicht leben, ja tragen noch das Unternehmensrisiko.

 

4. Asoziale Strukturen bedingen asoziale Verhaltensweisen

Anfang 2003 hat verdi für das Jahr 2003 einer Lohnerhöhung von 2,4 % durchgesetzt. Von dieser Erhöhung profitierten auch die Geschäftsleitung und die Abteilungsleitung der Volkshochschule Heidelberg. Die Dozenten verdienen das drei- bis fünffache weniger (vgl. oben). Trotzdem hat die Direktorin und die Mehrheit der Abteilungsleiter vorgeschlagen, die Honorare der Dozenten nicht zu erhöhen und haben ca. 5 Seiten an Begründung geliefert.

Das Experiment mit Wärtern und Gefangenen hat gezeigt, dass Strukturen auch Verhaltensweisen bedingen. Hier zeigen sich die gleichen Auswirkungen, Solidarität geht in feudalen Klassenstrukturen schnell verloren. Fairerweise muss gesagt werden, dass nicht alle Abteilungsleiter sich so asozial verhielten: Die beiden Mitglieder des Betriebsrates und ein weiterer Abteilungsleiter haben sich enthalten. Letzterer hat auch deswegen die Quittung bekommen: Kündigung (vgl. oben).
Ich habe diese Verhaltensweisen in der Mitgliederversammlung von 2002 kritisiert. Falls nun jemand meint, die Beteiligten hätten sich für dieses Verhalten entschuldigt, der irrt. Nein, diese Personen haben sich beschwert, dass ich solch ein asoziales Verhalten gerügt hatte.

 

5. Hire and fire (anheuern und feuern)

Nicht nur bei der Entlohnung der Dozenten haben die Volkshochschulen und alle Institutionen der Weiterbildung asoziale Strukturen entwickelt. Weiterhin haben Dozenten viele Pflichten aber keine Rechte. Es wäre ganz einfach Dozenten, die gegen diese Strukturen protestieren oder auf Missstände hinweisen, loszuwerden: Man bietet deren Leistungen nächstes Semester nicht mehr an.
Die vhs Heidelberg hat seit Jahren eine DozentInnenvertretung und die Zusammenarbeit zwischen den Dozenten und der Geschäftsleitung ist gut. Beides sind keine Selbstverständlichkeiten weder bei anderen Volkshochschulen, von den privaten Instituten ganz zu schweigen. Es gibt 1500 Volkshochschulen in Deutschland (vgl. www.vhs.de), aber nur eine handvoll hat eine Dozentenvertretung.

 

6. Unlauterer Wettbewerb

Die vhs profitiert von staatlichen Subventionen und, wie gezeigt, von der völlig unzureichenden Entlohnung der Dozenten. Dadurch werden die Preise (Kursgebühren) auf dem Markt so stark gedrückt, dass man als selbständiger Dozent schlicht nicht mithalten kann, wenn man außerhalb der Institution Kurse anbieten wollte. Als selbständiger Dozent bekommt man weder Subventionen noch Aufträge von öffentlichen Einrichtungen.
Beides zusammen führt dazu, dass die Situation noch schlechter wie in den USA ist. Während die Institutionen in der Weiterbildung nach belieben Dozenten heuern und feuern können, haben Dozenten kaum Chancen sich selbständig zu etablieren, weil diese asoziale Strukturen mit Steuergeldern subventioniert, weiterhin steuerlich als gemeinnütziger Institutionen begünstigt und bevorzugt bei öffentlichen Aufträgen behandelt werden. Daher können und werden Kurse zu Dumpingpreisen angeboten werden.

 

7. Versagen auf ganzer Linie: staatliche Ebenen, Parteien, Gewerkschaften, Dozenten

Staatliches Versagen auf allen Ebenen (Kommunen, Länder, Bund und EU) ist festzustellen: Die staatlichen Ebenen von der Kommune über die Länder, Bund bis hin zur EU haben versagt: Da werden asoziale Strukturen in der Weiterbildung mit öffentlichen Mitteln gefördert und Institutionen die Gemeinnützigkeit zugesprochen, die überhaupt nur funktionieren, wenn die Dozenten ausgebeutet werden. Alle Ebenen unterstützen durch Steuergelder und weitere Bevorzugungen diese asoziale Strukturen und tragen durch die Art und Weise der Vergabe von Aufträgen auch noch zur Verschärfung der Lage der Dozenten bei. 

Aber auch die Parteien und Gewerkschaften haben versagt. Die Parteien verkünden laut "Wir wollen keine amerikanische Verhältnisse" dabei gibt es diese schon seit Jahren in der Erwachsenenbildung. 

Die Gewerkschaften, in diesem Fall die GEW und ver.di, vertreten fast ausschließlich die Interessen der Arbeitnehmer, die in Normalarbeitsverhältnissen arbeiten. Warum sollte man in Zukunft nicht auch in den Schulen geringere Löhne zahlen, wenn es in der Erwachsenenbildung so erfolgreich praktiziert wird? Schon aus eigenem Interesse sollte man sich auch der unwürdigen Situation der Dozenten annehmen.

Aber auch die Solidarität der Kollegen untereinander   sowie der gewerkschaftliche Organisationsgrad freier Dozenten sind kaum vorhanden.

 

8. vhs: "Avantgarde im Schlechten"

Die Volkshochschulen waren in den vergangenen Jahrzehnten Vorreiter bei der Ausbildung dieser asozialen Strukturen. Mittlerweile sind weitere auch gemeinnützig anerkannte Institutionen aber auch private Anbieter diesen Weg gegangen. Es herrscht mittlerweile ein gnadenloser Konkurrenzkampf auf diesem Markt (auch die vhs Heidelberg hat Aufträge an andere Institutionen verloren, weil diese billiger anbieten konnten), der nur auf dem Rücken der Dozenten ausgetragen wird. Dies sollte unbedingt in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten geändert werden. Versagen in vielerlei Hinsicht: Anspruch auf emanzipatorische Volksbildung und prekäre Arbeitsverhältnisse, soziale Institution und asoziale Strukturen, soziale Fassade und strukturelle Ausbeutung.

 

9. Änderungen unabdingbar

In der Erwachsenenbildung sind amerikanische Verhältnisse keine düstere Zukunftsvisionen (Zur Zeit beteuern alle Parteien, dass sie so etwas in Deutschland nicht einführen wollen), sondern seit Jahren praktizierte Realität.
Die Volkshochschulen haben Schwierigkeiten weitere Dozenten zu rekrutieren (vgl. Geschäftsbericht 2001, S. 7). Aufgrund der oben genannten Bedingungen ist auch nichts anders zu erwarten. Daher sind auch Änderungen auch im Interesse der Volkshochschulen notwendig.

Ich kann nach über 10jährigen Erfahrungen nur jedem abraten, in der Weiterbildung tätig zu werden, obwohl ich die fachliche, didaktische und pädagogische Herausforderungen in der Erwachsenenbildung gerne bewältigt habe und dies auch weiterhin gerne tue. 

Es ist Zeit, dass die Volkshochschulen wieder eine Avantgarde im Positiven in der Weiterbildung einnehmen. Sie sollten sich auch in ihrem eigenen Interesse dafür einsetzen, dass auch die Dozenten eine leistungsgerechte und sozialverträgliche Entlohnung erhalten. 

Änderungen sollten in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten - vhs und Dozenten - vorgenommen werden. Die DozentInnenvertretung will in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule diese Missstände ändern.

Forderung: Humankapital sollte Priorität erhalten (vgl. Reformen

 


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Quelle: www.sozialpolitik.org
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