Soziale Segregation in der Weiterbildung am Beispiel der Volkshochschule Heidelberg

Gelder für Volksbildung für Besserverdienende zweckentfremdet


Offener Brief an die Mitglieder des Gemeinderats der Stadt Heidelberg, des Landtages und des Landesrechnungshofes von Baden-Württemberg


1. Volksbildung nötiger denn je

Der Anteil der in relativer Armut lebenden Menschen ist 2003 auf 15,3 %, ca. 18 Millionen Menschen gestiegen. In Deutschland gibt es Millionen funktionaler Analphabeten, die meisten Schätzungen sprechen von 0,75 - 3,00 % manche nennen bis zu vier Millionen Menschen, also ca. 5 % (vgl. http://www.alphabetisierung.de/hintergrund.html siehe: Döbert,Marion / Peter Hubertus: Ihr Kreuz ist die Schrift. Analphabetismus und Alphabetisierung in Deutschland. Herausgegeben vom Bundesverband Alphabetisierung e.V. Münster / Stuttgart 2000 / 2. Auflage 2001).

Angesichts dieser Zahlen ist Volksbildung sicherlich nötiger denn je, weil nur mit Bildung kann Chancengleichheit hergestellt und soziale Grenzen überwunden werden.

Bildungspolitik in Deutschland überwindet aber nicht, sondern zementiert die soziale Segregation in der Gesellschaft. Dies weiß man seit PISA. Das gilt auch in der Weiterbildung.

Für Volksbildung in der Weiterbildung sind eigentlich vor allem die Volkshochschulen (vhs) zuständig, da vor allem sie öffentliche Gelder dafür erhalten. Wie man nun am Beispiel der vhs Heidelberg zeigen kann, fördert Bildungspolitik die soziale Segregation geradezu. Für die dort Verantwortlichen ist es interessanter Angebote für Besserverdienende anzubieten.

2. Zweckentfremdung öffentlicher Gelder

Im Herbst 1995 wurde die Heidelberger Akademie für Gesundheitsbildung (HAG, Internet: http://www.hag-hd.de/index.htm) gegründet. Zwar gab und gibt es eine Abteilung "Gesundheit und Wellness" an der vhs, diese ist für´s einfache Volk, die Besserverdienende (z.B. Ärzte)  wollte oder konnte man nicht unter dem Namen "Volkshochschule" erreichen.

Gegen Innovationen ist nichts einzuwenden, es fragt sich allerdings, inwieweit das Unternehmensrisiko von der vhs getragen werden muss, und inwiefern Gelder, die für Volksbildung vorgesehen sind, für Ärzteweiterbildung zweckentfremdet werden müssen.
Fragwürdig ist weiterhin die einzigartige Stellung der HAG "innerhalb" der vhs. Sie ist kein Fachbereich der vhs wie etwa "Kunst oder Wellness", sondern de facto ein eigenständiges Unternehmen, das die zum Teil von der Stadt Heidelberg (2003 mit 1.087.654,5 €) und vom Land Baden-Württemberg (2003 mit 182.391,63 €) zur Verfügung gestellten Ressourcen (Mitarbeiter, Räume etc.) der vhs nutzt.

Die HAG ist seit ihrem Bestehen auf diese öffentlichen Gelder angewiesen. Erst wenn man fiktiv öffentliche Gelder, die für die Förderung der vhs vorgesehen sind, der HAG zurechnet, konnte man in einigen Jahren Gewinne bei der HAG ausweisen. 2003 wurde bei der HAG sogar ein Verlust von 81.784,24 € erwirtschaftet, sofern man öffentliche Gelder hinzurechnet, sind  es "nur" 26.033,95 €. Die HAG konnte und kann nur durch öffentliche Gelder am Leben erhalten werden.

Der gute Ruf der vhs wird missbraucht um Luxusseminare (Getränke und Buffet inklusive) und Ärzte-Kongresse bzw. –Weiterbildung zu finanzieren. Damit werden öffentliche Gelder bewusst zweckentfremdet. Kurse,  wie z.B. „Ganzheitliche Atem- und Leibtherapie“, „TOUCH FOR HEALTH“, müssen nicht von den Zuwendungen finanziert werden, die für die vhs und damit die Volksbildung vorgesehen ist. Die Finanzierung der Ärtztefortbildung kann z.B. von der kassenärtztlichen Vereinigung finanziert werden.

Öffentliche Gelder, die für die Volksbildung vorgesehen sind, werden an Besserverdienende weitergeleitet.  Da spielt es keine Rolle, dass diese Gelder unter dem Motto "Volksbildung nötiger denn je ..." rekrutiert werden (vgl. L. Nipp-Stolzenburg/H.-M. Mumm/R. Riese: "Volksbildung nötiger denn je ...". 50 Jahre Volkshochschule Heidelberg- Beiträge zu ihrer Entwicklung und zur Geschichte ihrer Vorläufer. Heidelberg 1996). 

2. Verantwortungsloser Umgang mit Geldern innerhalb der HAG und Gefährdung der Gemeinnützigkeit durch willkürliche Bezahlung und unlauteren Wettbewerb

Einige Personen werden durch eine unverhältnismäßig hohe Vergütung bzw. durch Beraterverträge begünstigt, obwohl dies die Satzung der vhs verbietet. Dazu gehört die unverhältnismäßig hohe und leistungsunabhängige Bezahlung des Leiters, Herrn Dr. Wolfgang Knörzer, der HAG. Dabei hat er großzügig Beraterverträge für Arbeiten vergeben, die eigentlich in seinen Aufgabenbereich fallen, d.h. wofür er selber bezahlt wird z.B.: „Unterstützung der Lehrkräfte, Beratung der Teilnehmer/-innen,· Kontaktpflege zu Kooperationspartnern und Sponsoren, Organisation und Controlling (Teilnehmercontrolling und Finanzcontrolling) des Seminarangebotes, Vorbereitung von Werbematerialien und Pressenotizen, Seminarevaluation etc.".

Weiterhin wurde nach Angabe des Leiters der HAG der Internet-Auftritt von einem Freund für einen Freundschaftspreis erstellt. Die vielen EDV-Dozenten, die bei der vhs für ein Appel und Ei seit Jahren Kurse anbieten, wurde nicht einmal die Chance eingeräumt, ein Angebot abzugeben.

Innerhalb der HAG  wurde ein Vertrag abgeschlossen, der eine freiberufliche Projektleiterin begünstigte. Ihr wurde ein Minimum von 18.000 € oder 15 % der Einnahmen garantiert, auch wenn die Veranstaltung nicht stattgefunden hätte. Frau Birgit Byrd-Bommes, die langjährige Vorsitzende des Vorstandes, hat nichts gegen solche Beraterverträge auszusetzen, einzig die Position "Beraterverträge" in der Bilanz fand sie nicht angebracht und suchte vergeblich nach einem anderen Begriff.

Jeder der über 640 Dozenten der vhs bekommt nur Geld, wenn der Kurs stattfindet, ansonsten bekommt er kein Geld und muss selber alle Vorbereitungen aus eigener Tasche bezahlen. Eine Marktbezogene Honorierung also.  In der HAG ist dieses Prinzip für den Leiter, die Projektleiter und die Berater anscheinend nicht bekannt. Inwieweit auch andere Personen innerhalb der HAG oder vhs so begünstigt wurden, kann nur, wenn überhaupt, von einer unabhängigen Prüfungskommission festgestellt werden.

Die meisten Teilnehmer und damit Profiteure von billigen Kursen der vhs kommen aus folgenden "sozialen Brennpunkten": Neuenheim, Altstadt, Weststadt und Bergheim (für ortsunkundige: dies sind die "besseren" bürgerlichen Stadtteile).  Viele Teilnehmer z.B. der EDV-Kurse  müssen ihre Kurse oft gar nicht selber bezahlen, da der Arbeitgeber die Kurse bezahlt, es sind oft Mitarbeiter aus leistungsfähigen Betrieben u.a. auch SAP. Die wirklich Bedürftigen kommen kaum in Kurse, dies gilt auch für andere Abteilungen. Man muss da nur die Titel der Veranstaltungen lesen, dann sieht man, dass diese kaum für Sozialhilfeempfänger oder Arbeitslose gedacht sind.

Eine Niederlassung, Stadtteil-vhs, unterhält die vhs in Ziegelhausen (für ortsunkundige: dies ist der Stadtteil in dem die Anzahl der Millionäre die der Hartz IV-Betroffenen leicht übersteigen dürfte).  Der Auftrag der vhs wird wohl verfehlt , wenn in Ziegelhausen eine Filiale eröffnet wird, aber nicht im Süden Heidelbergs, der ja auch wegen der hohen Einwohnerzahl (Boxberg, Emmertsgrund, Kirchheim, Rohrbach, für ortsunkundige: im Süden liegen in Heidelberg die sozialen Brennpunkte) eine Volksbildungsstätte verdient hätte.

Ein privates (Weiterbildungs-)Unternehmen kann sicherlich nur nach finanziellen Kriterien entscheiden. Die vhs ist aber ein von öffentlichen Mitteln getragenes Unternehmen. Wenn die vhs aber nur Kurse für Besserverdienende anbietet und ganze Stadtteile und Bevölkerungskreise, für die sie ja eigentlich zuständig ist, sträflich vernachlässigt, dann verstößt sie gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (GUW), da selbständige Dozenten oder private Weiterbildungsinstitutionen mit einer subventionierten Institution nicht mithalten können und daher benachteiligt werden. Die Leiterin der vhs und die  zuständigen Gremien kennen diesen Zusammenhang.

3. Ungleichbehandlung, willkürliche Entlohnung, Feudale Klassenstruktur innerhalb der Beschäftigten. Inverse Solidarität: Dozenten als bilanztechnische Verfügungsmasse

Seit Jahren werden im Abendgymnasium, Abendrealschule und HAG Verluste eingefahren. Im Abendgymnasium und in der Abendrealschule verfügen die Mitarbeiter über eine sehr gute BAT-Alimentierung. In der HAG gibt es BAT-Alimentierung, Gutdotierte Beraterverträge, Honorare für Dozenten der HAG, die bis zu fünfmal höher sind wie in der vhs, zwischen 30 und über 100 € je Unterrichtseinheit bei der HAG, dabei entscheidet der Leiter der HAG willkürlich, wem er wie viel gibt. Bei der vhs beträgt das Dozentenhonorar zwischen 19 und 24 €, jede Abteilung hat ein einheitliches Honorar. 

Die festen vhs-Mitarbeiter genießen eine leistungsUNabhängige BAT-Alimentierung. Die über 640 Dozenten der vhs werden Markt bezogen honoriert und tragen darüber hinaus das unternehmerische Risiko.

Einer materiellen Ausbeutung der freiberuflichen Dozenten (Entlohnung unter Sozialhilfeniveau vgl. Amerikanische Verhaeltnisse ) durch eine marktbezogene Honorierung auf der einen Seite steht eine BAT-Alimentierung, d.h. leistungs- und marktunabhängige Entlohnung für die Geschäftsleistung, Verwaltung sowie eine willkürliche Entlohnung der HAG-Dozenten, und hohe Beratungshonorare auf der anderen Seite gegenüber.

Abendrealschule und Abendgymnasium sowie HAG fahren seit Jahren Defizite ein, die voll auf Kosten der Dozenten der vhs gehen. Die Schwachen tragen die Starken (inverse Solidarität). Die Dozenten bilden die finanztechnische Verfügungsmasse der vhs. Zuerst müssen alle anderen bedient werden, dann erst kommen die Dozenten, die die eigentliche Leistung, für welche die vhs steht, erbringen.

4. Fehlende Transparenz durch bewusste Verschleierung, Vertuschen, Verschweigen und Verbreitung von falschen, zweideutigen oder allgemeinen Informationen

Vorstand und Beirat wurden wissentlich und vorsätzlich über die katastrophale wirtschaftliche Situation der HAG im Unklaren gelassen.

Die vhs ist ein privat organisierter Verein, es gibt ca. 130 Mitglieder, davon kommen in den jährlichen Sitzungen ca. 15 bis 30 Mitglieder. Entscheidungen werden also von einem sehr kleinen Kreis getroffen. Daher wirken sich personelle Verflechtungen und Interessengebundene Seilschaften sehr stark aus bzw. ist eine wirksame Kontrolle fast unmöglich. Der Verein hat nur ein scheindemokratisches Mäntelchen. Es gibt Grund zur Annahme, dass der Verein aufgrund zu enger
personeller Verflechtung keine wirkliche Kontrolle über die Geschäftsleitung ausüben kann oder will. So ist der Ehemann der Geschäftsführerin Frau Dr. Luitgard Nipp-Stolzenburg sowie andere Ehepartner von hauptberuflichen Mitarbeitern Mitglied im Verein. Weiterhin ist nicht auszuschließen, dass weitere Freunde und Bekannte, die an einer unübersichtlichen Situation bei der  HAG und vhs ein persönliches Interesse haben, Mitglied sind und damit einen Selbstbedienungsladen pflegen. Die  Mitgliederversammlung wiederum entlastet und wählt den Vorstand (so geschehen im Mai 2004 unter Beteiligung von Herrn Dr. Stolzenburg u.a. "vhs-Freunden").

Die vhs Heidelberg betrachtet gerne den 1848 gegründeten Arbeiterverein als Vorläufer und ist zu Recht stolz darauf, dass Ludwig Feuerbach 1848/49 hier öffentliche Vorlesungen gehalten hat, bei denen Handwerker und Arbeiter freien Zugang hatten. Damals ging es um Volksbildung, heute sieht es anders aus. Die Preisfrage lautet: würde Ludwig Feuerbach bei dieser "Volkshochschule" noch einen Vortrag halten?

"Difficile est satiram non scribere" (Es ist schwierig keine Satire zu schreiben), so kommentierte der römische Dichter Juvenal die soziale Situation seiner Zeit. Dies kann man auch von der Situation in der vhs sagen. Wer die Situation innerhalb der vhs beschreibt, verfasst gleichzeitig eine Anklage, manche sagen sogar Polemik.

Würde Juvenal heute nach Heidelberg kommen, er würde sich hier heimisch fühlen. Auch wenn er auf Kölsch und Cianti, die Lieblingssorten des Heidelberger-Toskana-Klüngels, verzichtet, gibt es noch viele andere Bier- und Weinsorten unter denen er frei wählen könnte und das soziale Miteinander ist ihm bestens vertraut.

 


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Quelle: www.sozialpolitik.org
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